MVRDV - Warum ist Baukultur gerade jetzt wichtig?

Warum ist Baukultur gerade jetzt wichtig?

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Von Jan Knikker
Dieser Text wurde der 
Bundesstiftung Baukultur vorgelegt. Einige Zitate davon wurden zuvor in gedruckter Form veröffentlicht.

Die Eröffnung der Markthal in Rotterdam von MVRDV im Oktober 2014 war für die Journalistin Laura Weissmüller Anlass, der Deutschen Baukultur mit einem Artikel in der Süddeutsche Zeitung gründlich den Kopf zu waschen. Unter dem Titel „Oase statt Ödnis“ stellt sie hierin die provokante Frage: „Warum wird sowas nicht bei uns gebaut?“

Für MVRDV als Büro aus den Niederlanden wurde dies zu einer zentralen Frage. Da wir immer häufiger in Deutschland arbeiten, besuchen wir viele Deutsche Städte, in denen uns unglaubliche Massen von „zeitloser“ Architektur begegnen. Vom Niederländischen Standpunkt aus gesehen sind dies oft einfallslose, einförmige Boxen mit weissen Putzfassaden, an denen die unzähligen Normen der Baugesetzgebung buchstäblich abzulesen sind. Warum traut man sich in Deutschland nicht, etwas mutiger zu sein und damit Innovation und Avant-Garde in der Gestaltung zu fördern und als essentiellen Aspekt der Baukultur zu etablieren? Die Antworten, die wir gehört haben sind divers: von relevanten wirtschaftlichen Argumenten, bis hin zu eher ironischen Erläuterungen über den Deutschen Charakter. Der österreichische Standard Journalist Wojciech Czaja hatte die positive, egalitär begründete Erklärung, dass in Deutschland, aus dem Kriegstrauma heraus, in der Architektur nichts wirklich herausragen darf.

Oft hören wir in Deutschland „Das geht hier nicht!“ und das ist schmerzhaft, da man es so oft hört. Hierdurch entsteht der Eindruck, dass diejenigen die andere Entscheidungen treffen könnten sich auf einen Konsens geeinigt haben, dabei aber immer auf andere verweisen: „An mir liegts ja nicht aber ich bin mir sicher dass die anderen keine Innovation erlauben“. In 20 oder 30 Jahren schauen wir vermutlich zurück auf die heutige Periode der ‚zeitlosen“ Architektur und schämen uns. Das verdient die Deutsche Baukultur nicht. Deutschland ist mit seiner Natur eines der schönsten Länder Europas und dennoch sehnen sich viele Menschen nach der Toskana, wo Landschaft und Architektur im Einklang miteinander sind, wo Schönheit erlaubt ist und wo der aktuelle Zeitgeist (Renaissance z.B.) auch an den Bauten ablesbar ist. Wird es nicht Zeit dass die Deutsche Baukultur, die derzeit leider geprägt ist vom Geist des „quadratisch – praktisch – wirtschaftlichen“ Wiederaufbaus der Nachkriegszeit, wiederbelebt wird? Anstatt risikomeidende standardisierte Alltagsarchitektur zu feiern, muss wieder Innovation, Diversität und Verspieltheit in der Gestaltung erlaubt sein! Architektur darf nicht reduziert werden auf ein, von DIN Normen und wirtschaftlichen Eckdaten definiertes „Malen nach Zahlen“.

Glücklicherweise gibt es in Deutschland aber auch immer wieder bemerkenswerte Beispiele wo Bauherren, Architekten und Behörden wikliche Innovationen schaffen in der Gestaltung und der Praxis. Diese Leuchtturmprojekte machen Mut und sollten mehr gefördert werden. Auch erwähnenswert sind die Innovationen in der Technik und der Nachhaltigkeit im Bau, Themen wo die Deutsche Baupraxis oft leitend ist, allerdings muss noch an den hohen Baukosten gearbeitet werden und der Baugesetzgebung, alle Vorschriften zu erfüllen macht den Bau teuer. Nicht relevante Baugesetzgebung sollten schnell abgeschafft werden.

Gerade jetzt, wo soviele neue Wohnungen nötig sind, soziale und wirtschaftliche Entwicklungen die Gesellschaft verändern, Lebensräume durch Klimawandel bedroht werden, ist eine zukunftsweisende und offene Baukultur ungemein wichtig: um wunderbare belebte Städte zu schaffen, um räumliche Qualität für kommende Generationen zu gestalten, um der Bedeutung von Natur und Biodiversität in der Stadtplanung Rechnung zu tragen und um auch gestalterisch den Standort Deutschland zu stärken. Es ist kein Wunder, dass ästhetisch schöne Städte mehr Unternehmen,Bewohner und Besucher anziehen. Deutschland steht heute vor einer vergleichbaren Aufgabe wie in den 50er und 60er Jahren, es werden massenhaft neue Wohnungen gebraucht.Jetzt gibt es die Chance, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und es besser zu machen.

Deutschland hat eine so reiche Baukultur in der Historie! Wo sind in der zeitgenössischen Architektur die neuen stark verdichteten Quartiere wie der Prenzlauer Berg oder die zeitgenössischen Versionen der spielerischen Bürgerfassaden von Hamburg Eppendorf? Wo ist die Innovationskraft der Stuttgarter Weissenhofsiedlung? Wo ist Deutschlands nächster Frei Otto? Diese Deutsche Bautradition sollte weiterentwickelt werden in zeitgenössischer Architektur. Eine Baukultur, die nicht zurückschaut, sondern die in der Gestaltung auf die heutigen und zukünftigen Lebensstile und Herausforderungen reagiert. Dazu brauchen wir Investoren, die stolz sind auf Ihre „Produkte“ und Exzellenz anstreben.  Wir brauchen kritische und mutige Behörden und wir brauchen einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über Architektur und Städtebau.

Seit Juni 2020 ist MVRDV auch ein Deutsches Büro mit einer Berliner Niederlassung und darum engagieren wir uns , zusammen mit unseren Partnern, zusammen mit Städten, Architekten und Planern für zukunftsweisende Perspektiven für die Baukultur in Deutschland. Wir wollen aktiv am Diskurs teilnehmen mit unserem Aufruf für mehr Mut und Innovation in der Gestaltung. Darum sind wir Mitglied geworden im Förderverein der Stiftung Baukultur, weil es relevant und wichtig ist.