MVRDV - Rückblick 2005: Barcode Haus, das erste Ökohaus von MVRDV

Rückblick 2005: Barcode Haus, das erste Ökohaus von MVRDV

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Rede von Jan Knikker auf einem Event von Riedel und Christie’s im Barcode Haus am 15. 5. 2024.

Sehr geehrte Damen und Herren,

Willkommen im Barcode Haus!

Mein Name ist Jan Knikker, Partner beim niederländischen Architekturbüro MVRDV. Vielleicht haben Sie noch nicht von uns gehört, aber wir sind ein recht bekanntes Architekturbüro mit 330 Mitarbeitern, Hauptsitz in Rotterdam und wir haben Filialen in Paris, Shanghai, New York und auch in Berlin. Warum nicht München? Die Mieten in Berlin sind weitaus günstiger als in München und es gibt noch Mitarbeiter.

Vielleicht kennen Sie uns vom niederländischen Pavillon auf der EXPO2000 in Hannover, der Markthalle von Rotterdam oder dem Werk12 hier im Werksviertel, wo Sie im fünften Stockwerk mit Blick auf die Münchener Skyline schwimmen können. Es wurde 2021 vom Deutschen Architekturmuseum zum besten Gebäude Deutschlands gekrönt. Im Moment arbeiten wir in München auch an verschiedenen Projekten die alle noch mehr oder weniger geheim sind. 

Ja, und jetzt sind wir in einer Immobilie und in angewandter Kunst, dem Barcode Haus. Wie passiert so etwas? Wir bekamen diese Email „Would you like to build our house? Call us!” Es gab noch eine detaillierte Übersicht des Lebens dieses Ehepaars, das uns kontaktiert hatte. Einige Wochen später kamen wir mit einer großen Kiste mit 20 Modellen, und daraus wurde das Barcode Haus konzipiert, für jede Funktion ein anderer Streifen. Man fängt dann mit einem strengen Konzept an, und es wird dann verfeinert und nicht mehr ganz konzeptuell sauber, aber zum Beispiel ist das Rote Haus 100% für Kinder, das Metallhaus 100% Wohnzimmer.

© Rob 't Hart

Was das Ehepaar uns nicht erzählt hat – ich übertreibe jetzt ein bisschen – ist, dass er am liebsten einen Betonbunker wollte und sie einen Bauernhof. Daher ist das Haus konzeptuell vor allem auch eine gelungene Verbindung von Gegensätzen.

Die Architektur verbindet Ländlichkeit mit metropolitaner Ästhetik. Wichtige Design-Parameter waren Gemütlichkeit und Sinnlichkeit. Es ist wundervoll komplex, hat ländliche, fast anthroposophische Elemente, es gibt aber auch eine Tribüne zum Fußball gucken und einen Raum, der die Qualität eines New Yorker Lofts hat. Alles in einem Haus, das konzeptuell aber acht Häuser ist.

© Rob 't Hart

Es ist ein Holzbau und ein Ökohaus mit streng gesunder Materialauswahl, ein Haus, das sozusagen aus Material gemacht ist, das man im Reformladen kaufen kann, aber es hat eben nicht diese alternative Ästhetik, sondern strahlt eine radikale Modernität und einen Optimismus aus, dass es nachhaltigen Fortschritt gibt. Es hat auch den Bayerischen Holzbaupreis 2006 gewonnen und ist gefüllt mit technischen Innovationen. Dort hinten die Treppe hat Wände aus unbehandeltem Holz, das ist sogar Ausschuss vom Sägewerk. Die tragenden Holzwände sind nicht geklebt, es wären nämlich 1,4 Tonnen Leim nötig gewesen, und der dünstet. Hier im Haus dünstet nichts Giftiges, es duftet, nach 19 Jahren kann man immer noch das Holz riechen. Die Wände aus diesem Restholz sind vernagelt und nicht geklebt, es ist also auch noch zirkulär, und das in 2005, stellen Sie sich das mal vor.

© Rob 't Hart

Die Architektur verbindet ein weitläufiges Haus mit Intimität, das Haus hat einen menschlichen Maßstab und umarmt das Familienleben. Ich war heute Morgen in der Münchner Innenstadt und habe ein Penthouse im besucht, das hatte eine wunderbare Aussicht über die Münchener Skyline, aber ein Wohnzimmer von 120 m², wo man drei Sofagarnituren braucht, um es zu füllen, und dennoch fühlt man sich verloren. Hier im Barcode Haus haben Sie Räume, die einen normalen Maßstab haben. Die Küche funktioniert als Herz des Hauses. Die Kinderzimmer wurden damals klein entworfen, damit die Kinder vor allem im Familienbereich und im Garten sind. Dann sieht man sie nochmal, wenn sie in ihre Telefone verschwinden wollen. Das Kinderwohnzimmer im Erdgeschoss ist eine Art Freihafen, wo alles geht, aufräumen nicht nötig, man macht die Schiebetür zu und erspart sich den täglichen Krach mit den Kindern. Auch wichtig: Wir sind hier in Solln, einem reichen Stadtteil, und die eher normalen Kinderzimmer machen aus den Kids keine neureichen Schnösel, sondern sie sollen bodenständig bleiben. Die Architektur versucht also vorsichtig, einen positiven Einfluss auf das Familienleben zu haben.

© Rob 't Hart

Das Haus verbindet Leben, Freizeit und Arbeiten richtungsweisend und war im Grunde ideal für Covid, wo wir uns alle wieder versucht haben, von der strengen Trennung dieser Lebensbereiche zu entfernen und eine gesündere Work-Life-Balance zu ermöglichen. Das Haus ist auch komplex und interessant. Wenn Sie hier während einer Pandemie eingesperrt sind, sehen Sie eine Vielfalt von Räumlichkeiten, während der Nachbar hier in seinem Leben vor allem beigen Naturstein sieht.

Die Architektur ermöglicht und fördert das Familienleben. Es ist flexibel und kann sich an den Lebenslauf anpassen. Es war schon bewohnt von einer Familie, dann von zwei Familien, dann von einer großen Patchwork-Familie. Es kann auch ein Mehrgenerationenhaus sein, eine Praxis oder drei Wohneinheiten. Es ist also lebenslaufbeständig. Sehen Sie den Knubbel da an der Decke? Das ist ein Kaminschacht und wenn Sie diesen Raum zu einem Wohnzimmer machen, kann er angeschlossen werden und ein gemütliches Zusammensein am offenen Kaminfeuer ermöglichen.

Ganz wichtig ist auch, dass das Haus zusammen mit Frau Langer, die auch eine Kunstsammlerin ist, entworfen wurde. Es wurde über große Wandflächen nachgedacht, über Sackgassen, wo es Orte für Kunst gibt, und man könnte hier sogar eine private Kunstgalerie oder ein Privatmuseum eröffnen, um im Einklang mit Kunst und Natur zu leben.

© Rob 't Hart

Das Haus ist übrigens auch selbst Teil einer Sammlung. Seit 2015 ist das Barcode Haus Teil der staatlich niederländischen Architektursammlung und alle Archivstücke können in Rotterdam im Het Nieuwe Instituut gesehen werden. Also auch alle Emails zwischen uns und Frau Langer...

Das Barcode Haus wurde 2005 fertiggestellt, und als ich ankam, war ich etwas ängstlich: „Hat es sich gut gehalten?“ Ich war erleichtert und habe dann erstmal mit der kapitonierten Fassade geschmust, sollten Sie auch machen, die ist weich und sinnlich... Die niederländische Ästhetik des Hauses ist kein niederländischer Schmuddelbau, das Haus ist in einem Tiptop-Zustand und das ist vor allem den bayerischen Handwerkern zu verdanken, die hier einwandfrei gearbeitet haben.

© Rob 't Hart

Jetzt bekommt es ein neues Leben und sucht neue Nutzer, die einen Dialog mit diesem ikonischen Haus eingehen, das Charakter hat wie ein Altbau, aber die Offenheit und Flexibilität eines Neubaus bietet. Das Haus wurde für Claudia Langer und Gregor Woeltje gebaut, wird aber jetzt das Leben der nächsten Familie beherbergen. Wie gesagt, es ist flexibel und wir denken gerne mit, um es zum Zuhause der nächsten Besitzer zu machen.

Es soll sich wieder füllen mit Kinderlachen, Kunst und Leben.